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Klettersteige in Québec: Herausforderung an die Sicherheit

Die kanadische Provinz Québec, in der gerade mal 8 Millionen Einwohner leben, ist flächenmäßig dreimal so groß wie Frankreich. Die meisten der bis zu 1300 Meter hohen steilen Berge sind im Osten der Provinz zu finden. Die zauberhaften Landschaften mit zahlreichen Seen und Flüssen ziehen viele Outdoor-Fans an. Aufgrund ihrer Entfernung und ihrer unberührten Natur ist die Provinz Québec ein Ausnahmeterrain für Berg- und Kletterführer. Um die Besonderheiten dieser Gegend zu verstehen, sind wir im Sommer 2016 dorthin gereist, um mit Bergführern/-rettern, die sich auf Klettersteige spezialisiert haben, zu sprechen.

25 Januar 2017

Technische Rettung

pernelet

Organisationsform von Klettersteigen

Die Klettersteige in Québec gehören entweder Privatgesellschaften oder den Nationalparks. Das Einrichten und Betreiben dieser Klettersteige ist durch spezielle Vorschriften geregelt.

Alle Klettersteige, die wir besucht haben, sind mit dem im Jahr 2005 von Aventure Ecotourisme Québec ins Leben gerufenen „Qualitäts- und Sicherheitslabel“ ausgezeichnet. Es wird nichts dem Zufall überlassen, alles wird genauestens kontrolliert: das Erstellen der Notfallpläne, die Ausbildung der Bergführer/-retter und Teamleiter sowie die kompletten Risikoanalysen. Beim geringsten Zweifel kann dem Unternehmen die Genehmigung entzogen werden, was u.U. das Ende für seine Klettersteigprojekte bedeutet.

Um eine maximale Sicherheit zu gewährleisten, wird dem Klettersteiggeher die Ausrüstung vor Ort zur Verfügung gestellt und er wird von einem ausgebildeten Klettersteigführer begleitet, welcher auch für die Überprüfung der Ausrüstung verantwortlich ist.

Für Tourismusanbieter und Mitglieder von „Aventure Ecotourisme Québec“, die die Regeln des Qualitäts- und Sicherheitslabels „Qualité-Sécurité“ akzeptieren, für Firmenchefs, Mitarbeiter der Nationalparks oder Begleiter/Betreuer, die in direktem Kontakt mit den Kunden stehen, haben Sicherheit und Risikomanagement absolute Priorität. Deshalb wird nichts dem Zufall überlassen.

 

Spezielle Ausbildung zum Klettersteigführer

Seit 2009 erteilt der Bergsport- und Kletterverband „Fédération Québécoise de la Montagne et de l’Escalade“ ein Diplom für Klettersteigführer. Die Kandidaten müssen über Vorkenntnisse verfügen und seit mindestens einer Saison Erfahrung im Sportklettern haben. Außerdem müssen sie gewisse Situationen im vertikalen Terrain beherrschen (z. B. Abseilen und Einrichten eines Standplatzes). Die Ausbildung basiert auf der Aneignung technischer und psychologischer Kompetenzen. Die Teilnehmer werden in der Anwendung der Ausrüstung ausgebildet. Bei dieser handelt es sich um eine Kombination von Produkten, die beim Sportklettern und seilunterstützten Arbeiten zum Einsatz kommen (I’D, PRO TRAXION-Umlenkrolle, JAG SYSTEM, ROLL MODULE). Während der Ausbildung wird das Einrichten von Flaschenzugsystemen geübt. Der Klettersteigführer muss in der Lage sein, die persönliche Schutzausrüstung zu überprüfen und EDV-mäßig zu verfolgen.

Die Gesellschaft „Parcours Aventures“ bietet eine Zusatzausbildung mit folgendem Programm an: Höhenrettung in Klettersteigen und aus Seilbahnen. Vorbedingung ist eine Arbeitssaison als Bergführer. Die Ausbildungsmodule beziehen sich auf technische Rettungsvorgänge (Rettung durch Auf- und Abseilen, mit der Seilbahn und durch seitliche Bewegung eines Verunfallten). Durch diese Verbesserung der Kompetenzen soll eine enge Zusammenarbeit zwischen Teamleiter und Assistent gewährleistet werden.

Außerdem organisiert „Parcours Aventures“ das Training für seine eigenen Klettersteigführer. Diese müssen eine monatliche praktische Übung zur Erhaltung ihrer Fähigkeiten sowie ein persönliches Training in den Seiltechniken durchführen, das durch die Unterschrift in einem Nachweisregister belegt wird.

 

Ablauf der Rettungseinsätze

Hier gibt es keine auf taktische oder zivile Rettungseinsätze spezialisierten Gruppen wie in Europa. Der Rettungseinsatz wird durch die in der Bergrettung ausgebildeten Klettersteigführer vor Ort ausgelöst und durchgeführt.

Alle durch „Aventure Ecotourisme Québec“ zertifizierten Klettersteige haben einen Notfallplan. Dieses Dokument umfasst eine Beschreibung der Parcours, der Einsatzzonen, der Lokalisierung des Rettungsmaterials sowie dessen Inhalt. Topos der Evakuierungsrouten, Notwege und Treffpunkte mit den für den Transport des Verletzten im Krankenwagen oder im Hubschrauber zuständigen Personen sind schematisch dargestellt. Zudem sind im Notfallplan die zu verwendende Ausrüstung und deren Einsatz entsprechend den Bedingungen vor Ort, des vorhandenen Materials und der Schwere der Situation festgelegt. Das Ziel ist es, nur das wirklich Notwendige mitzunehmen, um Zeit zu sparen und Fehler zu vermeiden. Die Ausrüstung muss mit dem vor Ort vorhandenen Material kompatibel sein. Das Rettungsmaterial ist in wasserdichten Kästen und Säcken an diversen Stellen der Parcours installiert. Den Kletterführern ist bekannt, wo sich diese befinden und was sie, angefangen vom Seil, über Seilrollen bis hin zur NEST-Rettungstrage, enthalten.

 

Jacques Hébert, die Erfahrung eines Pioniers

pernelet

Jacques Hébert wurde 1964 in Chicoutimi in der Nähe des Chalets seiner Familie, nicht weit vom Saguenay-Fjord und dem Saint-Jean-See entfernt, geboren. Seine Jugend verbrachte er mit Fischen, Jagen und Camping. So war es nicht verwunderlich, dass er an der Universität von Québec in Chicoutimi Natur- und Abenteuertourismus studierte und Experte für Kajakfahren, Sportklettern, Eisklettern, Segeln…. wurde. Der Visionär, der zudem eine Ausbildung in Projektmanagement absolvierte, erkannte schon bald das enorme Potenzial der Klettersteige für die Region.

„Kanada ist das Land der Pioniere und Camper, aber wir sind keine Alpinisten. Der Klettersteig bot sich daher in der Provinz Québec als Lösung an, um möglichst viele Menschen in Sicherheit an den Klettersport heranzuführen. Robert Berger, Mitbegründer von  Prisme en Savoie (Frankreich), und ich waren fest davon überzeugt, dass das Begehen eines Klettersteigs, bei dem der Nutzer Wälder, Seen und Flüsse aus der Höhe entdecken kann, bei Wanderern das Interesse für den Klettersport wecken würde.“

Im Jahr 2006 übernahm Jacques Hébert die 1994 gegründete Gesellschaft „Parcours Aventures“. Im Hinblick auf die Erweiterung seines Tätigkeitsfelds traf er umfangreiche Vorbereitungen: Projektstudium, gemeinsame Überlegungen mit der Fédération Québécoise de la Montagne et de l’Escalade, den Führungskräften der Betreibergesellschaft der Nationalparks in Québec (SEPAQ) sowie mit anderen privaten Partnern und den Kommunen. Als Tourismusanbieter für vertikale Aktivitäten ist man zur Beachtung entsprechender Sicherheitsvorschriften und zur Umsetzung eines zertifizierten Programms verpflichtet.

„Zu Beginn erstellten wir einen Kurzplan, um die Frage zu beantworten: Was ist im Falle eines Problems zu tun? Der Saguenay-Fjord lag direkt unter einem der Klettersteige. Um diesen betreiben zu können, mussten wir eine zuverlässige Evakuierungslösung finden, was zur Einführung und Umsetzung eines Ausbildungs- und Präventionsprotokolls führte: Installation des Rettungsmaterials, Anwesenheit von Klettersteigführern vor Ort, Training im Team... Im Übrigen erhalten alle Kunden vor dem Einstieg in den Klettersteig eine Einführung mit entsprechenden Empfehlungen. Wir haben eine Verpflichtung gegenüber den Menschen, die sich uns anvertrauen!“

 

Fotos  einer Rettungsübung im Klettersteig des Montmorency Wasserfalls, nur wenige Kabellängen von der Stadt Québec entfernt.

junod

Montmorency-Fall und rechts der Klettersteig

perneletEin wichtiges Dokument: der Notfallplan

junod/perneletVon links nach rechts: Vorbereitung des Rettungseinsatzes / kurz vor dem Aufbruch

junodAnkunft vor Ort

junodAbstieg zum Verletzen

junodRettung durch Abseilen

junodAktion

perneletWährend der Arbeit

perneletIn der Nähe des Klettersteigs installierte Sicherheitsausrüstung

junod Übung erfolgreich absolviert

 

Im Artikel erklärt

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