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Ein Beruf aus Leidenschaft: Rigger

Im Juli 2015 herrschte beim Musikfestival Musilac (Aix-les-Bains, Frankreich) geschäftiges Treiben. Nur wenige Stunden vor Beginn des Festivals waren die Rigger damit beschäftigt, die Licht- und Tonanlagen der riesigen Bühne am Ufer des Sees von Le Bourget zu installieren. Erfahre im Interview mit dem Rigger Ben Mazuer mehr über die Besonderheiten dieses Berufs.

18 September 2015

Zugang mit Seil und Beengte Räume


 

Gespräch mit Ben Mazuer: Rigger

Ben Mazuer ist Familienvater. Er ist seit fünfzehn Jahren in ganz Frankreich und im Ausland als Rigger tätig. Heute versucht er, nach Möglichkeit in der Nähe seines Zuhauses, d.h. in der Region Rhône-Alpes zu arbeiten. 
Der gelernte Journalist hat eine Ausbildung als Kletterlehrer absolviert und entdeckte den Beruf des Riggers durch einen Kletterkameraden.

 

Worin besteht der Beruf des Riggers ?
Was ist das Besondere daran ?

"Rigging bezeichnet die Installation von Lasten wie Bühnendekorationen, Scheinwerfer und Lautsprechersysteme in der Höhe. Das Besondere an diesem Beruf ist, dass immer unter Zeitdruck gearbeitet wird. Wir haben in der Regel nur sehr wenig Zeit für den Auf- und Abbau, höchstens einen Tag. 
Die Arbeitstage sind lang, wir fangen um sechs oder sieben Uhr morgens an und die Montage kann bis zum Mittag dauern. Nach der Veranstaltung machen wir uns an den Abbau. Dafür brauchen wir ein bis drei Stunden, so dass unser Arbeitstag je nach Veranstaltungsort um Mitternacht oder um ein Uhr morgens endet. 
Nachmittags arbeiten wir normalerweise nicht, aber bei größeren Veranstaltungen, wenn das Produktionsteam verspätet eintrifft oder wenn der Künstler einen ausgefallenen Wunsch hat, wie beispielsweise einen Flug hoch über der Bühne, arbeiten wir durch."

 

Wie gehen Sie mit diesen langen Arbeitszeiten um ?

"Wir haben lange Ruhephasen und sehr intensive Arbeitsphasen. Normalerweise haben wir sehr viel Arbeit von Oktober bis Dezember, etwas weniger im Januar und Februar, aber trotzdem noch zehn Termine in diesen so genannten "ruhigen" Monaten! 

Wir versuchen, die Teams im Wechsel einzusetzen, aber manchmal bereitet uns die Organisation einiges Kopfzerbrechen. So kann es vorkommen, dass wir zehn Rigger in einer Veranstaltungshalle benötigen und dass am selben Tag für eine große Veranstaltung in Lyon fünfundzwanzig Rigger gebraucht werden. 
Anfangs haben wir zuweilen hintereinander ohne Pause an zwölf bis dreizehn Aufträgen gearbeitet. Wenn du morgens um sechs Uhr anfängst zu arbeiten und um ein Uhr in der Nacht aufhörst, bist du ganz schön geschafft. Mittlerweile verfügen wir über ein solides Team und sind in der Lage, im Wechsel zu arbeiten. Seit ein paar Jahren kann ich es mir leisten, Festivals im Sommer zu meiden, weil ich den Rest des Jahres genügend arbeite."

 

Bist du in deinem Beruf viel unterwegs ?

"Unser Beruf bietet zwei Optionen. Wir können entweder vor Ort in Konzertsälen und Theatern, die wir gut kennen, arbeiten oder mit dem Produktionsteam auf Tournee gehen. Die beiden Möglichkeiten ergänzen sich, wenn wir nicht unterwegs sind, arbeiten wir vor Ort und umgekehrt. Einige von uns haben sich dafür entschieden, nur noch vor Ort zu arbeiten. Wir kommen damit über die Runden, da ausreichend viele Veranstaltungen stattfinden und genügend Veranstaltungssäle zur Verfügung stehen. Unser Team arbeitet für das Zénith in Saint Etienne, für die Arena in Genf, für das Summum in Grenoble und demnächst für den Sportpalast in Grenoble und vor einiger Zeit waren wir auch in der Tony Garnier Halle in Lyon tätig."

 

Welche Ausrüstung verwendet ihr ?

"Mit Layer-Systemen oder Gerüsten ist es ziemlich einfach, die Höhe des Rig zu erreichen, wo wir das Equipment aufhängen und uns fortbewegen. Wir setzen das ASAP und Seilzugangstechniken ein. Für die horizontale Fortbewegung richten wir Geländerseile ein oder wir verwenden Karabinerhaken. 
Das Material zum Aufhängen der Anlagen wird vom Produktionsunternehmen oder von der Veranstaltungshalle bereitgestellt. Wir bringen keine Hebemotoren oder Traversensysteme mit."
 

Ihr wisst also nie, welches Material ihr vor Ort vorfindet ?

"Oh doch, wir sind immer gut vorbereitet. Wir tauschen uns per Mail aus, um in Erfahrung zu bringen, ob die Veranstaltungssäle die gewünschten Anforderungen hinsichtlich der vorgesehenen Lasten erfüllen. 

Im Summum in Grenoble beispielsweise dürfen wir pro Traverse ein bestimmtes Gewicht nicht überschreiten und wenn das Produktionsteam eine höhere Last aufhängen will, müssen wir einen Kompromiss finden. Früher wurden "Layer-Systeme" oder Gerüste eingesetzt, es war nicht das Gleiche, da nicht alles vom Rig abhing. Heute wird praktisch alles aufgehängt und der Bühnenaufbau richtet sich danach, wie es an der Decke aussieht. 
In einem traditionellen Veranstaltungssaal wie z.B. der Tony Garnier Halle, ist alles vorgegeben. Beim Bühnenaufbau werden die voraussichtlichen Zuschauerzahlen berücksichtigt, aber in jedem Fall wird die Bühne auf einige Meter genau dem angepasst, was oben passiert. Die Lautsprecheranlagen können bis zu fünf Tonnen wiegen, so dass wir sie nicht an einer Stelle aufhängen, an der die Decke diese Last nicht tragen kann. Natürlich müssen oftmals Anpassungen vorgenommen werden.
Bei großen Shows müssen wir mitunter bis zu sechzig oder achtzig Tonnen aufhängen, so dass wir keine halben Sachen machen können. Wir befassen uns im Vorfeld intensiv mit der Vorbereitung und dürfen keinen Fehler machen, vor allem wenn wir unter Zeitdruck stehen. 
Bei kleineren Shows, wo weniger Lasten aufgehängt werden, keine umfangreichen Traversensysteme, wenig Scheinwerfer und Videotechnik nötig sind, können wir mitunter vor Ort direkt an die Arbeit gehen, da wir den  Veranstaltungssaal gut kennen und wissen, dass wir mit keinen speziellen Problemen konfrontiert werden."


 

Du arbeitest für das Musikfestival Musilac,
welche besonderen Aspekte beinhaltet diese Veranstaltung ?

"In diesem Jahr stehen wir vor einer besonderen Herausforderung mit einem Konzert von Johnny Hallyday direkt vor dem Festival und einem Muse Konzert gleich nach dem Musilac. 
Wir müssen also die Montage für Johnny ausführen und alles vier Tage lang installiert lassen. Danach wird die Bühne drei Tage lang vom Musilac genutzt und nach dem Festival müssen wir wahrscheinlich den Aufbau für das Muse Konzert anpassen. 
Festivals sind für uns mit einem großen Arbeitsaufwand verbunden. Wir müssen mitunter mitten in der Nacht Änderungen vornehmen, damit die Bühne am nächsten Tag um dreizehn Uhr wieder genutzt werden kann. Bei einem großen Job wie diesem sind rund um die Uhr vier Rigger im Einsatz. In der Regel arbeiten wir in Zweierteams, die sich abwechseln."

 

Wie organisiert ihr euch sicherheitstechnisch gesehen bei diesen Großveranstaltungen ? 

"Wir bemühen uns wachsam zu bleiben. In Bezug auf die Sicherheit wenden wir Arbeitsmethoden an, die es uns ermöglichen, die Risiken zu begrenzen. Wir arbeiten immer in Zweierteams und sind nie mehr als zehn/fünfzehn Meter voneinander entfernt. Die am Boden stehende Person muss im Falle eines Problems sehr schnell reagieren können."

Sind alle Personen in eurem Team ausgebildete Rigger ? 

"Es gibt mittlerweile spezielle Ausbildungsprogramme für Rigger. Sie konzentrieren sich vorwiegend auf das Aufhängen, das Verteilen und Berechnen von Lasten und darüber hinaus auf die Fortbewegung und die Sicherheit. 

In unserem Team haben zwar nicht alle Mitglieder ein spezielles Trainingsprogramm absolviert, aber die meisten sind gut ausgebildet. Wir haben entweder das französische C.A.T.S.C. (Eignungszeugnis für seilunterstützte Arbeitsverfahren) oder eine Kletterlehrerausbildung. Einige in unserem Team sind ausgebildete Bergführer, die im Hochgebirge gearbeitet haben, auch das ist eine gute Hilfe.
Von Zeit zu Zeit trainieren wir unsere Techniken und führen Evakuierungsübungen durch.
Die Hauptunfallursache beim Rigging ist die Müdigkeit. Ein müder Rigger ist weniger aufmerksam beim Umgang mit dem Equipment und das pausenlose Arbeiten kann dazu führen, dass ein Rigger vergisst sich selbst zu sichern. Das ist einer der Gründe, weshalb wir versuchen, die Teams im Wechsel einzusetzen."

 

Welche Ratschläge kannst du jemandem erteilen, der sich für den Beruf des Riggers interessiert ?

"Man muss sich dazu berufen fühlen! Es ist ein spezieller Arbeitsrhythmus mit ruhigen und sehr intensiven Phasen. Mein erster Rat für junge Leute, die sich für den Beruf interessieren, ist zunächst ein paar praktische Erfahrungen zu sammeln". Sie sollten sich an lokale Produktionsfirmen wenden und ihre Hilfe anbieten, um Kisten zu schieben, beim Bühnenaufbau, bei der Installation von Scheinwerfern, Lautsprecher- und Videoanlagen mitzuhelfen. Dann können sie sehen, ob der Beruf ihnen liegt und vor allem, ob er mit ihrem Lebensrhythmus übereinstimmt. 
Und wer sich schließlich wirklich dafür interessiert, sollte mit vor Ort tätigen Riggern Kontakt aufnehmen. Das Wichtigste ist, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Dann kommt das Training. Auch wenn eine Ausbildung als Seilzugangstechniker nicht unerlässlich ist, kann ich es nur empfehlen. Eine zusätzliche Berufsausbildung als Rigger ist ein Plus aber nicht unbedingt erforderlich. Die Ausbildung ist nicht alles, um in diesem Bereich Fuß zu fassen, wichtiger sind persönliche Beziehungen." 

 

Welches war dein schönstes Erlebnis in deinem Beruf ?

"Vor einigen Jahren arbeiteten wir für die Show eines französischen Komikers in der Tony Garnier Halle. Das Team vor uns hatte in der Nacht am Bühnenaufbau gearbeitet. Als wir am Morgen ankamen, lief alles wie geplant und wir begannen mit dem Rig. Gegen elf Uhr, als wir die letzten Einstellungen des Tonsystems vornahmen, sahen wir, wie unten Leute umherliefen, um zusätzliche Sitze zu installieren und die Plätze erneut zu zählen. Es stellte sich heraus, dass ein kompletter Sitzbereich fehlte! Wir mussten die Bühne um zehn Meter verschieben um hunderte weitere Sitzplätze zu schaffen. 

Auch wenn "Layer-Systeme" Ähnlichkeit mit LEGO®-Steinen haben, wog die Installation immerhin 15 Tonnen! 80 bis 100 Personen waren dann damit beschäftigt, alles abzubauen, die Bühne um zehn Meter zu verschieben, was eine präzise Koordination verlangte und das Adrenalin in die Höhe schnellen ließ. Der Zeitfaktor spielte eine große Rolle, denn danach mussten wir noch die Beleuchtung einstellen und alles ausregeln. Nicht umsonst planen wir einen Spielraum von sechs Stunden ein, bevor der Saal seine Türen öffnet! 
Am Ende des (Wieder)aufbaus hörten wir Leute vom Aufbauteam sagen "zumindest wissen wir jetzt, dass wir in der Lage sind es zu schaffen". Alle waren mit der geleisteten Arbeit äußerst zufrieden!"

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