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Arbeit mit Leidenschaft: Industriekletterer an der Kathedrale in Meaux

Mai 2014: Franck, Dachdecker und Industriekletterer, und sein Lehrling Kilian beginnen mit ihrer Arbeit am Dach der denkmalgeschützten Kathedrale in Meaux, Frankreich. Dieser außergewöhnliche Arbeitsplatz steht exemplarisch für die Herausforderungen, mit denen Seilzugangstechniker konfrontiert sind und zeigt wie wichtig es ist, auch ein guter Handwerker zu sein. An dieser Stelle geben Franck und weitere Mitarbeiter der Firmen „Abside“ und „Epicure“ einen Einblick in die Arbeitswelt ihres extrem vielseitigen Berufs.

21 April 2015

Zugang mit Seil und Beengte Räume

© Stephan Denys

Interview mit Franck Jarrige, Dachdecker und Industriekletterer

Franck, 41 Jahre alt und zweifacher Vater, hat bereits im Alter von 16 Jahren seine Dachdeckerausbildung gemacht. Später, in seiner neunjährigen Zeit als Vorarbeiter, absolvierte er zusätzlich Ausbildungen zum Seilzugangstechniker (Level 1 und 2), um sich fortzubilden und den gestiegenen Sicherheitsvorschriften für die Höhenarbeit Rechnung zu tragen. Die Ausbildung benötigte er beispielsweise für Reparaturmaßnahmen an der Glasfassade des „Grand Palais“ in Paris. 2013 kehrte er in seine Heimatstadt zurück, um für die Firma „Abside“ zu arbeiten.

„Ich habe wirklich Spaß an meiner Arbeit, vor allem daran, dass man sich immer wieder mit neuen Aufgaben auseinandersetzt. Einer meiner liebsten Zeitvertreibe ist es, mein Fachwissen und meine Erfahrung in die Ausbildung des Nachwuchses einzubringen. Für einige Monate habe ich dem 19 Jahre alten Kilian Jacquin, der bereits zertifizierter Industriekletterer ist, einen Einblick in den Dachdeckerberuf gegeben. Ich mag es zu delegieren, junge Menschen beim Erwerben von Fertigkeiten zu unterstützen, sie in reale Arbeitssituationen zu bringen, ihnen zu vermitteln, was es heißt einen guten Job zu machen. Im Idealfall erhalten sie dadurch letztlich eine Festanstellung. Für beide, den Ausbilder und den Lehrling, ist es eine erfüllende Erfahrung, einen längeren Zeitraum gemeinsam zu verbringen.

In unserem Arbeitsleben als Höhenarbeiter sind wir immer wieder mit Situationen konfrontiert, in denen wir extrem aufmerksam sein und ungewöhnliche Lösungen für einzigartige Probleme finden müssen. Vor allem bringe ich den jungen Leuten bei, effizient zu sein. Unser Beruf ist physisch anspruchsvoll und die Orte, an denen wir arbeiten, sind oft schwer zugänglich. Wichtigste Aufgabe eines Seilzugangstechnikers ist es, sich so zu sichern, dass man sicher arbeiten und einen guten Job machen kann. Die jungen Auszubildenden könnten sich schnell in einer misslichen Lage wiederfinden, wenn sie die entsprechende Ausrüstung oder Technik vergessen. Hinzu kommen Erschöpfung und der Zeit- und Effizienzverlust. Die wichtigsten Prinzipen unserer Arbeit sind: Die Aufgabenstellung genau zu analysieren, nichts dem Zufall zu überlassen, immer bei der Sache zu sein, die nächsten Schritte im Voraus zu planen und auf sich selbst und sein Equipment zu achten. Das ist der Schlüssel für eine lange Karriere in unserem Beruf. Mit Unabhängigkeit, guten handwerklichen Fähigkeiten und einer profunden Ausbildung in Seilzugangstechniken sind die Lehrlinge perfekt für eine erfolgreiche Karriere ausgebildet. Wir bleiben natürlich auch nach der Ausbildung in Kontakt und oft melden sich unsere ehemaligen Auszubildenden Jahre später bei uns, weil sie Hilfe für eine spezielle Situation, wie z.B. das Schweißen unter Wasser, brauchen.“

Franck und Kilian bei der Arbeit an der Kathedrale von Meaux

„Ich habe mich dazu entschlossen, Kilian ins kalte Wasser zu schmeißen und zur Kathedrale von Meaux mitzunehmen, wo wir einen Wasserkasten an einer Dachrinne ersetzten sollten. Kilian ist vor Ehrfurcht erstarrt bei dem Ausblick: Wir konnten 30-40 Kilometer in jede Himmelsrichtung schauen, der Kirchturm war 70 m Hoch und die Steine der Kathedrale mit ihren schönen Verzierungen sind mehr als 400 Jahre alt. Dieses religiöse Bauwerk wurde zwischen 1175 und 1540 erbaut.

Die Szenerie strahlte eine immense Kraft aus, aber wir mussten uns auf unsere Arbeit konzentrieren und unseren Fokus auf die bevorstehende Tätigkeit richten. Wir brauchten den ganzen Tag um unsere Arbeit zu erledigen. Wir hatten unsere Arbeitsanweisungen, analysierten die Risiken, erstellten unseren speziellen Ablauf für sicheres Arbeiten und stellten sicher, dass das Gebäude gesichert war. Die Behörde, die für historische Gebäude zuständig ist, hat uns diesen Auftrag nicht einfach so gegeben. Für den Zugang mussten wir in der Lage sein, uns entlang einer Reihe von Bögen und Balustraden zu bewegen. Um die Sache noch komplizierter zu machen, begann es zu regnen, als wir mit dem Aufbau anfingen. Wir mussten ein paar Dachziegel entfernen, um an notwendige Anschlagpunkte zu gelangen. Ich war auf dem oberen Laufgang und dirigierte meinen jungen Lehrling, der sich auf dem unteren Laufgang befand, aus der Ferne. Er richtete dann die Anschlagpunkte mit Hilfe spezieller Techniken ein. Das Anbringen der Seile ist immer eine große Herausforderung. Der kleinste Pendelsturz könnte ernst Konsequenzen haben. Die Fassade, die Skulpturen oder die schönen Fenster könnten beschädigt werden. Hier war absolut kein Platz für Fehler.“

© Stephan Denys
 

Interview mit Denis Marchand, Geschäftsführer von „Abside“

Denis Marchand ist Bergführer, Skilehrer und öffentlich bestellter Vermessungsingenieur.

Warum ausgerechnet Seilzugangstechniken?

„Weil ich in meiner Firma „aplomb“ (zu deutsch in etwa „Im Lot“) schlicht all meine Kenntnisse über Seil- und Sicherungstechniken zusammenführen kann. Im jahr 2000 hatte ich zunächst mit meinem Partner Sébastien Testé, einem zertifizierten Kletterlehrer und Industriekletterer, die Firmen „Abside“ und „Epicure“ gegründet. Wir sind zertifizierte Seilzugangstechniker, aber auch qualifiziert für den Gerüstbau und die Arbeit mit Hebebühnen. Wenn wir an Gebäuden in urbanen Räumen arbeiten, sind wir mit ganz bestimmten Herausforderungen konfrontiert, um effektiv arbeiten zu können. Etwa 5% unserer Aufträge umfassen Arbeiten an Gebäuden, die als unzugänglich bezeichnet werden. Das sind Orte, an denen wir auf zusätzliche Hilfsmittel angewiesen sind, um unsere Arbeit verrichten zu können.“

© Stephan Denys

Was ist Deine Motivation, was gefällt Dir an deinem Beruf?

„Ich mag es in der Höhe zu arbeiten und vor allem die unglaublichen Orte, an die wir dabei kommen. Unsere Arbeit ist physisch sehr anspruchsvoll, vor allem bei schlechtem Wetter, aber sie beinhaltet auch immer eine tolle Komponente: Wir steigen über die Umgebung hinaus und sehen die Stadt von hoch oben. Und mit Stadt meine ich Paris, mit seinen Dächern, den kleinen versteckten Hinterhöfen und all den kleinen faszinierenden Details urbanen Lebens. Unsere Arbeit ist extrem abwechlungsreich, kein Job gleicht dem anderen, jedes Gebäude ist einzigartig.“

Was sind für Dich die größten Erfolge in deinem Beruf?

„Erst vor wenigen Jahrzehnten wurde ein neuer Beruf geboren: Seilzugangstechniker. Heute gibt es in Frankreich 5.000 Seilzugangstechniker und 400 Firmen, die sich auf Arbeiten in der Höhe und schwer zugänglichen Bereichen spezialisiert haben. Wir durften Teil der Entstehung eines neuen Handwerks sein. Wir sehen dies als großen Erfolg. Frankreich ist die treibende Kraft auf diesem Gebiet, Marktführer. Zu Beginn waren wir wenige Dutzend Mitstreiter, die an Richtlinien, einem Ausbildungssystem, Klettertechniken und auch – zusammen mit den Herstellern – an neuer Ausrüstung gearbeitet haben (Auffanggurte, Absturzsicherungssysteme, Sicherungsgeräte). Wir haben zwei Berufe zusammengebracht, die anfangs nichts gemeinsam zu haben schienen.“

Wie gibst Du Dein Wissen an die nächste Generation weiter?

„Wir bilden junge Seilzugangstechniker in Vollzeit zu Dackdeckern aus, damit sind wir direkt in der Weiterbildung engagiert. Engagiert zu sein ist uns wichtig bei Abside, in unserem Metier ist es nicht möglich ein Opportunist zu sein. Jeden Tag sind wir mit Herausforderungen konfrontiert, die wir lösen möchten, sei es mit bestimmten Materialien, dem Mauerwerk, Dächern oder undichten Holzdächern. Unser vielseitige Beruf zwingt uns, Dingen auf den Grund zu gehen und alle möglichen Lösungen zu analysieren, um die beste zu finden.“

Über Abside und Epicure

Abside und Epicure bilden zusammen die Cairn Gruppe, die sich auf die Arbeit an „hoch“ berühmten Plätzen im ganzen Großraum Paris spezialisiert hat. Die Firmen decken zwei verschiedene Geschäftsbereiche ab: Abside hat sich auf Seilzugangsarbeiten an Gebäuden und Industrieanlagen sowie Reinigungsarbeiten spezialisiert. Epicure ist im Bereich permanente Absturzsicherung wie etwa Geländer und Lifelines tätig.

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