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Interview mit Lara Neumeier

Im Interview berichtet Petzl-Athletin Lara Neumeier über ihren ersten Trip ins Yosemite und gibt Tipps für Bigwall-Neulinge.

2 Oktober 2024

 

Lara, du warst bereits in vielen Klettergebieten: Yosemite, Pembroke, Frankenjura, Korsika, Rätikon… Wo gefällt es dir am besten?

 

Ich werde öfters nach meinem Lieblings-Klettergebiet gefragt. Ein richtiges Lieblingsgebiet habe ich aber gar nicht wirklich, jedes Gebiet hat so seine Besonderheiten, für die ich dort gerne hinfahre. Wenn ich jetzt aus diesen fünf Gebieten wählen müsste, dann würde ich sagen Yosemite und Rätikon sind meine Lieblingsgebiete. Das Yosemite ist wirklich ganz besonderes. Es ist nicht umsonst DAS Klettermekka, von dem jeder Kletterer träumt, mal hinzufahren und am El Cap zu klettern. Das Yosemite ist nicht nur geil für Bigwalls, man kann auch richtig gut Einseillängen machen und theoretisch auch richtig gut bouldern, wenn man da Bock drauf hat. Das Rätikon ist für mich irgendwie besonders, weil es näher an der Heimat und trotzdem relativ einsam ist. Schon die Anfahrt ist superschön, oben ist man dann alleine in den Bergen und man hat einfach ein wahnsinnig schönes Drumherum. Dazu kommt die supergute Kletterei an beeindruckend steilen Wänden mit bestem Fels.

 

Welche Klettergebiete haben dich in deiner Entwicklung besonders geprägt?

 

Zuerst einmal das Kraftwerk im Allgäu, meiner Heimat. Dort war ich in meiner Jugend richtig viel, auch dadurch, dass ich früher natürlich noch kein Auto zur Verfügung hatte. Im Laufe der Zeit bin ich dort nahezu alle Touren geklettert. Auch neue Schwierigkeitsgrade habe ich mir dort erschlossen: Meine erste 7a, erste 8a, erste 8b, erste 8b+.... Das hat natürlich auch meinen Kletterstil geprägt, ich klettere eigentlich am liebsten steile und kraftvolle Routen - viele Frauen sind da anders und bevorzugen kleine Leisten und technische Routen. Das zweite Gebiet ist das Yosemite. Dort habe ich unfassbar viel Neues gelernt in meinen sieben Wochen Aufenthalt. Das werde ich nie vergessen, im Gegensatz zur einen oder anderen Sportkletterroute. Klar, an besonders schwere Touren kann ich mich schon erinnern, aber im Vergleich zu den Erlebnissen im Yosemite verblassen die eher.

Lara in "Nimm dir Zeit" (8a+), Foto: Simon Toplak

 

Was war so besonders im Yosemite? Was war dein verrücktestes Erlebnis?

 

Das war bei unserer Begehung von El Corazon, mit 35 Seillängen bis 8a eine wirklich anspruchsvolle Bigwall. Am letzten Tag in der Wand, dem sechsten, hatten wir noch nahezu alle schweren Längen vor uns. Nach dem Ruhetag an Tag fünf hatten wir am sechsten Tag noch neun Längen vor uns - wir mussten an diesem Tag aussteigen, weil für den siebten Tag Regen und Sturm angekündigt waren. Die Amerikaner übertreiben ja immer ein bisschen mit Wetterwarnungen, “first significant storm incoming” hieß es - aber klar war, dass man bei dem Wetter in der Wand nichts mehr zu suchen hat. Wir mussten also an Tag sechs aussteigen und kannten die kommenden schweren Längen noch nicht und wussten nicht, was auf uns zukommen würde. Deswegen sind wir in der Früh um 4:30 aufgestanden und um fünf in die erste schwere Länge eingestiegen, haben sie ausgecheckt und dann gepunktet. Danach kam das bekannte Dach, 8a und ziemlich lang. Die Babsi (Barbara Zangerl) hat es angeschaut und mit ihrer Beta konnte ich es dann zum Glück gleich flashen, die Babsi ist es danach auch noch durchgestiegen. Dann gabs wegen der Sonne eine Mittagspause, in der Hitze geht nämlich einfach gar nichts mehr, da die nächsten Längen voll in der Sonne waren. Wir haben dann bis etwa vier Uhr nachmittags gewartet, bis die Sonne weg war und sind dann die letzten sieben Längen noch im Dunkeln mit Stirnlampe geklettert - um drei in der Früh waren wir dann am Gipfel. Also wir hatten echt einen sehr langen Tag von 5 Uhr morgens bis 3 Uhr morgens. Da muss man schon extrem aufpassen, dass einem keine Fehler passieren am Stand. Es war eine krasse Herausforderung und echt verrückt.

 

Tradklettern und Sportklettern sind schon sehr unterschiedlich - wie stellst du dich auf die beiden Disziplinen ein?

 

Es ist auf jeden Fall sehr anders! Beim Sportklettern habe ich eigentlich nie Probleme und keine Sturzangst. Fürs Tradklettern muss ich auf jeden Fall umschalten und erstmal wieder reinkommen. Tradklettern mache ich nämlich auch nicht jeden Tag. Für mich ist es dann im ersten Schritt vor allem wichtig, möglichst viel Leichtes zu klettern, viel zu legen und auch mal zu stürzen: Da merke ich dann wieder, okay, das Zeug hält wirklich. Dadurch gewinne ich viel Vertrauen. Und wenn man das dann ein paar Tage macht, merke ich: Es geht! Aber man muss eben erstmal wieder langsam starten.

Technisch diffizil und bester Fels - Lara in der Route "Delicatessen" (8b) auf Korsika, Foto: Frank Kretschmann

 

Wie planst du deine Begehungen von schweren Mehrseillängen-Touren?

 

Eigentlich immer nach Projekt und Zielen. Meistens setze ich mir am Anfang vom Jahr ein paar Ziele und dann weiß ich, für welche Route in welcher Region normalerweise die beste Zeit zum Klettern ist. Zum Beispiel im Mai und Juni. Im Winter trainiere ich viel in der Halle und versuche am Anfang der Saison viel Sportklettern zu gehen, damit ich ein bisschen Fitness und Ausdauer aufbaue, um perfekt auf mehr Klettern vorbereitet zu sein. In der Phase, in der ich das Projekt probiere, liegt der volle Fokus auf dem Projekt. Wenn ich ein bisschen länger brauche, bin ich vielleicht mal drei, vier Tage im Projekt, dann fahre ich wieder heim, um ein bisschen zu trainieren. Dann fahre ich wieder drei, vier Tage zum Projekt - alles andere wird im Prinzip drum herum geplant.  Dieses Jahr hat das super funktioniert, weil ich erst viel Sportklettern war, im Sommer dann Alpinklettern, und jetzt geht es bald wieder zum Bigwallklettern. Das baut perfekt aufeinander auf. Auch wenn die beiden schweren Touren die ich diesen Sommer klettern konnte (“Headless children” 8a+ und “Nimm dir Zeit” 8a+) nicht Granit wie im Yosemite sind, fühle ich mich doch gut vorbereitet - die Fitness passt und man hat dann im Seilmanagement mehr Übung und alles läuft flüssig.

 

Du hast gesagt, dass du beim Klettern eigentlich nie Angst hast - gab es Momente, in denen das anders war?

 

Stimmt, ich habe beim Klettern echt selten richtig Angst, aber einmal hatte ich echt richtig Schiss, es war ein mega langer Tag in der Wand, der Vierte in El Corazon. Da sind wir auch um fünf los, haben erst um zwölf das Portaledge aufgebaut und dementsprechend gegen elf die letzte Länge geklettert. Bevor wir das Portaledge aufgebaut haben, war ich dran mit vorsteigen, eine Kaminlänge. Ich bin auch in meinem Leben eigentlich vorher noch nie einen richtigen Kamin geklettert. Die Länge davor war auch schon ein Kamin, der richtig hart war, den bin ich aber nachgestiegen bin. Als ich dann mit Vorsteigen dran war, war es natürlich stockdunkel. Man kriecht relativ weit in  den Kamin rein, dort kann man dann noch einen riesigen Cam legen, in den man aber nicht reinfallen sollte. Dann war ich an einer Stelle, wo ich noch ganz gut stehen konnte und von da aus konnte ich sehen, dass ich jetzt noch fünf Meter hoch muss bis zum nächsten Placement. Ich war von dem Tag schon echt fertig und es hat sich nicht so angefühlt, als würde es gehen, weil es so eng war da drin. Da kamen mir Gedanken wie: “Okay, soll ich wieder runter und einfach die Babsi fragen, ob sie mal probieren will”, aber nach einigem hin und her habe ich mich dann fürs Durchziehen entschieden und bin losgestartet. Aber es war mega schwer und so eng, dass ich quasi meinen Kopf nicht mehr drehen konnte mit dem Helm. Ich habe dann den Helm ausgezogen und bin nur noch mit Stirnlampe geklettert, damit der Kopf nicht feststeckt. Da war ich dann relativ weit innen im Riss und musste dann weiter oben wieder raus. Und erst als ich wieder aus dem Körperriss raus war, konnte ich den nächsten Cam legen. Das war wirklich scary und hat mich viel Überwindung gekostet. Ein Sturz wäre richtig unangenehm gewesen, weil ich vermutlich irgendwo in den Start vom Kamin reingesaust oder den Cam rausgezogen hätte. Auch die Babsi fand die Länge richtig hart. Im Endeffekt war es aber cool, dass ich es trotzdem gemacht und mich überwunden habe. Aber es war eines der wenigen Erlebnisse, wo ich wirklich Angst hatte.

Traumhaftes Ambiente in "Delicatessen", 8b. Foto: Frank Kretschmann

 

Abgesehen von heftigen Kaminlängen und langen Tagen - wie ist für dich das Big Wall Klettern? Neben dem reinen Klettern gibt es ja auch richtig viel Logistik, die vielleicht nicht mal nicht so schön ist. Macht das Rumrödeln Spaß oder will man sich eigentlich aufs Freiklettern konzentrieren?

 

Also ich finde, Spaß kann man es jetzt nicht unbedingt nennen, aber es gehört einfach dazu. Ohne das ganze Haulen, die ganze Logistik und das Seilmanagement wäre es auch nicht das Gleiche. Wenn man jetzt jemanden hätte, der das alles für einen macht und man selber nur klettert, dann wäre es auch irgendwie ein bisschen langweilig. Und irgendwo macht es auch ein bisschen Spaß. Nur sauschwere Haulbags hochzuziehen ist definitiv kein Spaß, da es unfassbar anstrengend ist und voll auf den Körper und die Substanz geht, das macht einen schon richtig platt! Und dann kommt es auch immer mal wieder vor, dass es irgendwo hängt und nicht funktioniert. Das ist schon super nervig! Aber dafür hat man dann als Belohnung am Abend ein gemütliches Portaledge in der Wand!

 

Abgesehen davon, dass der Haulbag ab und zu mal festhing - gab es Dinge, die schief gegangen sind?

 

Glücklicherweise eigentlich nicht wirklich! Dadurch, dass die Babsi so ein Profi im Bigwallklettern ist, lief bei uns eigentlich alles relativ gut. Ich habe nur am allerersten Tag gleich mal eine Jümar runtergeschmissen, und dann ist uns später auch noch eine Micro Traxion runter gefallen. Da war dann klar, dass wir jetzt nicht noch mehr runterwerfen sollten, weil wir sonst nicht oben angekommen wären. Witzigerweise ist neben uns am nächsten Tag jemand an Fixseilen neben uns aufgestiegen und hat uns gefragt, ob uns eine Jümar runtergefallen ist - er hat sie für uns unten an einen Baum am Einstieg gehangen. Am nächsten Tag sollte unser Fotograf kommen, den haben wir dann gebeten uns die Jümar mitzubringen. Die war dann aber schon weg. Also die Sachen, die da runter fallen, die sind sofort weg. Da sind überall Dirtbags, die sammeln alles ein was runter fällt.

Kräftige Züge in "Nimm dir Zeit" (8a+), Tirol. Foto: Simon Toplak

 

Das Klettern im Yosemite ist ja schon sehr speziell und man kann sich hier kaum darauf vorbereiten - wie war dein erster Felskontakt dort, bist du abgehoben?

 

Als wir mit dem Wohnmobil ankamen, sind wir gar nicht ganz ins Tal reingefahren, sondern haben direkt bei “Meltdown” (eine 8c+ Tradroute) gestoppt. Wir haben also noch gar nichts vom Valley gesehen und waren schon klettern. So ging es auch weiter, die ersten zwei Wochen sind wir eigentlich nur im Tal geklettert. Meistens haben wir die Tage so gesplittet, dass wir am Vormittag “Meltdown” probiert haben und nachmittags irgendwo anders klettern waren. Einfach viele verschiedene Touren klettern! Das war wichtig, weil wir den Fokus auf den El Cap setzen wollten und ich dafür fit werden musste! Am ersten Tag sind wir noch zu einem richtig langen 40 Meter Riss, der war zwar nur mit 7a bewertet, aber es hat sich superhart angefühlt und ich war total gepumpt. Dann waren wir in den nächsten Tagen einfach richtig viel Klettern, unter anderem haben wir die “Seperate Reality” gemacht. Da waren wir, glaube ich, am vierten Tag und da ging es dann schon mega gut. Die Tour konnte ich sogar flashen, allerdings mit preplaced gear. Später bin ich die Tour aber nochmal mit selber legen geklettert. Es ging also richtig schnell bergauf. Wir sind dann nach einer Woche nochmal zu dem Riss, an dem wir am allerersten Tag waren. Nachdem ich beim ersten Mal kaum hochgekommen bin, ging es dieses Mal richtig easy. Es ist aber für uns Europäer eine riesige Umstellung, da die Kletterei schon sehr anders ist.

 

Nach deinen jetzigen Erlebnissen im Yosemite - was würdest du Bigwall-Neulingen empfehlen?

 

Ich würde jedem, der ins Yosemite geht, erst einmal raten, am Anfang mindestens eine Woche zu investieren und einfach nur viel zu klettern, das hilft einem enorm sich an das Gestein zu gewöhnen. Dann ist man auch wirklich bereit für die großen Wände! Außerdem ist Seilmanagement und Standplatzorganisation die halbe Miete. Das kann man auch schon zuhause an den Felsen üben! Man spart sich einfach eine Menge Zeit und Ärger, wenn das gut läuft! Und natürlich sollte man sich mit seinem Seilpartner richtig gut verstehen. Man verbringt sehr viel Zeit auf engem Raum miteinander, schläft nebeneinander, geht nebeneinander aufs Klo - man kann sich schlecht aus dem Weg gehen, das sollte gut passen!

Zeit zum Feiern: Die schönen Momente beim Bigwall Freeclimbing. Foto: Simon Toplak

 

Das Yosemite ist auch für das legendäre Camp 4 bekannt, hier trifft sich die Kletterszene. Wie hat dir das Leben im Camp gefallen?

 

Man darf es eigentlich nicht laut sagen, wir waren gar nicht im Camp 4! Wir hatten ein riesiges Wohnmobil, dafür wurden wir echt schräg angeschaut von den ganzen Kletterern. Wir waren quasi die Clean Climbers, nicht die Dirtbag Climbers. Darüber war ich aber sehr froh, wir hatten nämlich eine Heizung und im November war es dort schon richtig knackig kalt. Wir sind natürlich ab und zu mal am Camp vorbeigefahren, die Straße geht ja direkt dort vorbei, und haben gesehen wie die Leute dort schon um 8 in der Früh am Lagerfeuer sitzen und sich da aufwärmen. Wenn man da schläft in den sechs Wochen, dann ist es auf jeden Fall noch mal ein ganzes Stück härter. Wir wurden deswegen wie gesagt oft angesprochen nach dem Motto: "Boah habt ihr ein großes Wohnmobil!” Aber letztendlich war es dann so, dass uns alle dann immer geschrieben haben, ob wir nicht mal zusammen Abendessen wollen oder so. Im Endeffekt sind dann doch öfter mal alle zu uns ins Wohnmobil gekommen und haben sich bei uns aufgewärmt. Dann haben wir einen schönen Abend zusammen gehabt und alle waren froh, dass wir den Camper hatten!

 

Zu so krassen Erlebnissen braucht man sicher einen Ausgleich. Was machst du an Ruhetagen und zum Runterkommen?

 

Neben dem Klettern gefallen mir auch viele andere Sportarten richtig gut. Im Winter gehe ich gern Skifahren oder mal eine Skitour, im Sommer fahre ich gern Rennrad oder gehe Mountainbiken. Wenn ich einen Ruhetag habe, nach dem ich  am nächsten Tag ein schweres Projekt probieren mag, dann mache ich mich natürlich nicht durch irgendeine andere Sportart platt. Mein Ritual für solche Tage ist Yoga. Das hilft mir beim Runterkommen und kommt sonst oft zu kurz. Mein Freund klettert außerdem nicht viel. Dadurch kann ich beim Heimkommen ziemlich schnell abschalten, da sich nicht alles immer nur ums Klettern dreht, wir haben auch viele andere Themen.

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