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Robert Leistner im Interview

Robert Leistner ist seit 8 Jahren Athlet bei Petzl und bekannt für schwere Erstbegehungen in seiner Heimat, der sächsischen Schweiz. Er arbeitet als Routenbauer, entwickelt neue Klettergriffe und besitzt die Boulderhalle Mandala in Dresden. Wir haben mit Robert über das Klettern in der sächsischen Schweiz, seine zukünftigen Pläne und Erlebnisse in seinem Kletterleben gesprochen.

12 April 2023

Klettern

© Julian Bückers

Robert, du kletterst hauptsächlich im sächsischen Sandstein. Dort darf man nicht chalken und die nervenaufreibenden Abstände zwischen den Ringen (sächsisch für Bohrhaken) dürfen nicht durch Friends und Keile verringert werden. Erlaubt sind nur Knotenschlingen. Was würdest du jemandem empfehlen, der zum ersten Mal im Elbsandsteingebirge klettern will? 

Ich würde empfehlen, nicht mit dem Ziel zu kommen, etwas Großartiges zu reißen. Vielmehr sollte man die Motivation haben, das Klettern hier in seiner ursprünglichsten Form zu betreiben, nämlich um ein Abenteuer zu erleben. Das ist die Definition des sächsischen Kletterns. Und wenn man es schafft, seine Erwartungen herunterzuschrauben, wird man sicherlich von einzigartigen Erlebnissen überrascht und nicht enttäuscht. Ein zweiter Tipp: Such dir unbedingt jemanden, der sich gut in dem Gebirge auskennt.

 

Hast du auch einen Tipp für ein spezielles Gebiet?

Es gibt viele verschiedene Gebiete in der Sächsischen Schweiz. In jedem Gebiet gibt es mittlerweile auch recht gut abgesicherte Touren. Aber die gewöhnlichsten Kletterstrukturen, die wahrscheinlich für die meisten Kletterer auch am angenehmsten zum Eingewöhnen sind, findet man im Bielatal und wahrscheinlich auch in Rathen. Eigentlich gibt es in jedem Gebiet kleine Felsen, die leichter konsumierbar sind, und ganz heroische Türme daneben, die man sich auch nach vielen Jahrzehnten Klettern in der Sächsischen Schweiz immer noch nicht hochgetraut hat. Wenn man sich etwas genauer informiert und Tipps einholt, wird man in jedem Gebiet in der Sächsischen Schweiz etwas Tolles zum Ausprobieren finden. Es ist lange nicht so schlimm und unmenschlich, wie es immer wieder dargestellt wird. 

© Robert Leistner

 

Was sollte man deiner Meinung nach auf keinen Fall verpassen, wenn man mal im Elbi unterwegs ist ?

(Überlegt) Ich finde, die Lokomotive über dem Amselsee hochzuklettern ist ein ganz besonderes Highlight und auch für viele Kletterer möglich. Da gibt es Routen im fünften und sechsten Schwierigkeitsgrad, die gut machbar sind. Außerdem finde ich die Felsen in den Affensteinen toll. Das sind riesige, 80 Meter hohe Gipfel. Wer sich da mal irgendeinen Riss hoch getraut hat oder einen der 100 Jahre alten Klassiker geklettert ist, wird das sein Leben lang nicht vergessen. Viele würden wahrscheinlich auch den Schusterweg auf den Falkenstein empfehlen, das ist eine schöne Tagesunternehmung, die man gut mit ein paar Freunden zusammen in Angriff nehmen kann. Die Route ist ziemlich leicht, aber man hat es erst dann geschafft, wenn man wirklich wieder unten angekommen ist, denn man muss auch viermal abseilen.Für mich gibt es ganz viele Highlights. Natürlich auch im zehnten und elften Schwierigkeitsgrad, die ich gerne starken Kletterern empfehle, aber da muss man dann auch wirklich gut trainiert sein. Ich glaube, ich hätte für jeden eine andere Empfehlung.

 

Abgesehen vom Klettern, was darf man in der Sächsischen Schweiz nicht verpassen?

Ich finde auch, dass man in der Sächsischen Schweiz schön wandern kann und sich so ein kleines Gipfelerlebnis mit einer größeren, ausgedehnten Wanderung gut verbinden lässt. Und da gibt es wirklich sehr, sehr ursprüngliche Fleckchen, wo man wahrscheinlich auch sonst niemanden trifft. Ganz besonders schön zum Wandern ist zum Beispiel der Terrassenweg bei Schmilka. Man braucht circa drei Stunden und wandert dabei immer in halber Höhe am Massiv entlang, teilweise mit exponierteren und schwierigeren Passagen, mit kleinen Höhlen und Felsvorsprüngen und unendlich vielen Aussichtspunkten. Für mich ist die Sächsische Schweiz einfach ein Märchenland, das mich mit meiner verspielten Betrachtungsweise in ihren Bann zieht. Es ist ganz anders als in vielen Sportklettergebieten, wo es vielleicht eine tolle Wand mit einem schönen Fluss daneben gibt. Aber in der Sächsischen Schweiz ist vieles so unwirklich, dass man fast zweimal hingucken muss, um zu glauben, dass es tatsächlich existiert. Und was ich natürlich auch sehr gerne mache, ist das Boofen. Momentan ist das nur noch eingeschränkt und in bestimmten Monaten möglich. Boofen bedeutet hier in Sachsen das Übernachten unter Felsvorsprüngen oder in Höhlen. Auf diese Art und Weise ist man ganz nah dran an der Natur, das ist schon ein tolles Erlebnis!

© Julian Bückers

In der sächsischen Schweiz gibt es viele Kletterregeln - was müssen Gebietsneulinge noch beachten?

Eine weitere Besonderheit in der Sächsischen Schweiz ist, dass das Klettern an nassem Fels verboten ist. Der Sandstein ist nämlich deutlich brüchiger, wenn er etwas feucht ist. Und zu wissen, wie feucht der Fels ist, finde ich wirklich entscheidend. Es gibt hier nämlich viele unterschiedliche Wahrnehmungen, wann Felsen feucht sind und wann nicht. An manchen Wänden ist es schon kurz nach Regenstopp möglich zu klettern. Dazu muss die Wand aber leicht überhängend sein und es muss starken Wind geben. Dann braucht es aber nur zwei Minuten und die Wand ist trocken. Man kann da keine allgemeine Regelung machen. Und genauso ist es entscheidend, wie man mit dem Seil umgeht. Es gibt in Sachsen nämlich auch die Regel, dass Topropen verboten ist. Ist meiner Meinung nach auch ein riesen Quatsch, weil es gibt auch Topropes, die deutlich felsschonender sind als dort zehn Leute auf den Gipfel nachzusichern. Da hat man dann nämlich auf einmal ganz viele Seilriefen dort oben. Leider ist das sächsische Klettern ein Stück weit auch durch einen traditionell narzisstischen Gedanken geprägt, alle Regeln ad absurdum zu führen, ohne sie zu hinterfragen. Und das finde ich fast schon fatal für das wunderschöne Gebirge, dadurch geht nämlich Manches verloren. Es verwehrt den Blick darauf sich zu fragen, wie man mit diesen wunderschönen, erhaltenswerten Felsen noch besser umgehen könnte. Man sollte hier etwas objektiver in die Zukunft schauen, um das sächsische Klettern in seiner Ursprünglichkeit und Schönheit zu erhalten.

 

Wie siehst du die Zukunft des Kletterns im sächsischem Sandstein? 

Grundsätzlich finde ich das sächsische Klettern  in seiner ursprünglichen Form extrem erhaltenswert. Dieses Gebirge hat Pioniere hervorgebracht, die das Klettern weltweit geprägt haben. Vor 100 Jahren oder früher war das sächsische Klettern am modernsten. Oder auch bis in die 60er Jahre.

© Julian Bückers

Im Elbsandstein wurde 1917 bereits der erste Siebener geklettert.

Ganz genau, und in den 60er Jahren, als anderswo viel technisch geklettert wurde, ist man in Sachsen dem Freiklettern immer treu geblieben. Das sächsische Klettern hat sich aber dann ein Stück weit selbst beschränkt, um eben diesen ursprünglichen Zustand zu erhalten. Ich bin aber der Meinung, dass man, um genau diesen Zustand zu erhalten, weitere Angebote schaffen muss. Andere Angebote, die sogar von diesen Werten und Traditionen ein Stück weit abweichen. Es gibt seit Jahren die Diskussion über Massive, an denen nach sächsischer Tradition klettern verboten ist (Klettern ist nur an freistehenden Türmen erlaubt). Es gibt durchaus viele Massive, die direkt neben dem Wanderweg sind, wo es wunderbar wäre, sportliche Touren einzurichten, in denen man sich nicht zu Tode fürchten muss. Das wäre eine tolle Ergänzung zu den traditionellen Wegen. Da könnte man so viel Schönes machen und dadurch eine stärkere Akzeptanz für die alten Routen erreichen. Wir lassen das Alte wie es ist und wollen dort auch nichts mehr verändern. Aber man braucht ein alternatives Angebot, weil es hier auch viele Sportkletterer gibt. Auch Bouldern ist hier in der Region angekommen. Es gibt wunderbare Boulderspots! Dieses Angebot zu haben, wäre eine Möglichkeit, die vielen Menschen, die mittlerweile klettern wollen, ein Stück weit zu lenken. Also nicht einfach nur zu sagen: “Hier bei uns kann man nur sächsisch klettern, Bouldern ist verboten, Sportklettern ist verboten, da musst du eben woanders hinfahren zum Klettern.” Der- oder diejenige wohnt aber nun mal in der Region und hat genau das gleiche Recht auf sportliche Betätigung wie jemand, der schon seit 70 Jahren hier wohnt. Ich glaube, dass man gemeinsam mit dem tschechischen Teil des Gebietes in Zukunft ein sehr vielseitiges Klettergebiet haben wird, das weltweit seinesgleichen sucht. Vom reinen Trad-Klettern bis hin zum Sportklettern, verschiedenste Bouldergebiete und das Ganze eingebettet in wunderschöne Natur, das ist wirklich etwas ganz Besonderes. Dafür würde ich mir ein wunderbares Miteinander und Akzeptanz von den jeweiligen Verfechtern wünschen. Auch wäre es schön, ein Bewusstsein zu entwickeln, dass das, was die anderen machen, genauso wertvoll ist wie das, was ich am liebsten habe. Das wünsche ich mir, und das sehe ich auch nicht als Utopie. 

Also die alten Routen erhalten, aber neue Möglichkeiten schaffen?

Genau. Und die offizielle Erlaubnis dazu.

© Julian Bückers

Neben dem Elbsandstein ist Fontainebleau dein Lieblingsklettergebiet. Aber was kommt auf Platz drei?

Boah, das kann ich gar nicht so richtig sagen. Schwierig. Ich fand viele Gebiete auf ihre Art besonders. Rocklands hat mir gefallen, Buttermilk hat mir gefallen. Auf Sardinien war ich schon ganz oft, weil es dort auch so vielseitig ist. Alpen habe ich noch kaum ausprobiert, nur ein bisschen gebouldert. Da habe ich noch viel vor mir, hoffe ich. Ich würde sagen, dass das Elbsandstein und Bleau eigentlich gleichwertig an erster Stelle sind. Und dann kommt erstmal lange nichts. 

 

Interessant! Alpen ist ein gutes Stichwort. Du bist auch mental ein wahnsinnig starker Kletterer und hast im Elbsandstein Routen, die 25 Jahre ohne Wiederholungen waren, wiederholt, und trotzdem weiß man bei dir nichts von alpinen Begehungen. Wie kommt das, erzählst du das nicht, interessiert es dich nicht oder kommen die Begehungen noch?

Also ich habe tatsächlich noch keine einzige Mehrseillänge in den Alpen geklettert. Und mich interessiert es schon, aber das ist sehr, sehr zeitaufwändig. Ich bin mit 27 Papa geworden und habe davor schon angefangen, mich selbstständig zu machen. Und jetzt bin ich 40, also seit gut 15 Jahren arbeite ich sehr viel und habe mittlerweile drei Kinder. Wenn ich jetzt zum Beispiel Silbergeier, eine Tour, die ich wirklich gerne mal probieren möchte, angehen wollte, bedeutet das mindestens eine Woche weg von der Familie zu sein. Das ist ein großes Hindernis, bei dem ich wirklich ein starkes Unbehagen empfinde. Ich möchte nicht wegen meinem Sport regelmäßig über einen längeren Zeitraum von meiner Familie getrennt sein. Das ist, glaube ich, der Hauptgrund, warum ich nicht dort klettern gehen kann. Ich habe schlichtweg nicht die Zeit. Und ich möchte mir diese Zeit auch nicht nehmen. In Fontainebleau oder im Elbsandstein ist das ganz anders. Hier ist es sogar möglich, dass man gemeinsam geht. Die einen liegen dort in der Sonne, der andere klettert dort irgendwo im Schatten. Auch in der Fränkischen Schweiz ist eine Kombination mit Familie gut möglich, aber nicht bei so großen Aktionen in den Alpen. Das mache ich irgendwann mal mit meiner Frau, wenn die Kinder etwas älter sind.

© Julian Bückers

 

Erzählst du uns noch die verrückteste Geschichte aus deinem Kletterleben?

Da muss ich mal überlegen. Mh... Also die Gefährlichste? 

 

Es muss nicht gefährlich sein. Kann auch lustig sein! 

Ah! Na gut. Mein Bruder, meine zwei Cousins und ich, wir waren die Gebrüder Leistner. Wir haben gemeinsam mit dem Klettern angefangen. Und wir waren unheimlich motiviert, von Anfang an an unserer absoluten Leistungsgrenze zu klettern. Ich kann aber jedem nur abraten, das in der sächsischen Schweiz auszuprobieren! Einmal trafen wir morgens auf dem Weg zum Felsen Bernd Arnold, unser großes Idol. Wir fragten ihn: “Kannst du uns ein Autogramm in unseren Kletterführer reinschreiben? Bitte?” “Mach ich. » Er schriebt rein: “Hals und Beinbruch. Bernd Arnold.” Motiviert und noch viel stärker als jemals zuvor gingt es weiter zum nächsten Felsen. Mein Cousin Simon steigt eine Route vor, kurz vor dem zweiten Ring kam er ins Straucheln und stürzte. Ich zog noch Seil ein und warf mich auf den Boden. Er baumelte schlussendlich einen halben Meter über dem Boden, sein Fuß war ungünstig verdreht. Zum Glück konnte ich noch reagieren, sonst wäre er aus zehn Metern Höhe auf den Boden gefallen. Der Fuß war aber gebrochen. Wir trugen ihn dann Huckepack zum Auto zurück, fuhren ins Krankenhaus, wo Simon bestens versorgt wurde und wir nur noch zu dritt waren. Am nächsten Tag stieg mein Bruder vor, machte den Karabiner in den ersten Ring rein, hängte das Seil rein und schraubte den Karabiner zu. Dann fragte er, als er oben war: “Jonathan (so heißt mein anderer Cousin), willst du nachkommen?” ”Nee, ich steig selber vor.” Also zog er das Seil ab, kletterte zum ersten Ring, nahm das Seil und wollte es in den Karabiner einhängen. Scheiße. Der Karabiner war noch zugeschraubt, er versuchte ihn aufzuschrauben. Irgendwann war die Kraft zu Ende und mein Cousin stürzte mir aus acht Metern Höhe entgegen. Ich stand spottend auf einer Treppe, sein Ellbogen zerschellte an meinem Kopf. Er brach sich den Ellenbogen, ich hatte eine Platzwunde und wir lagen glücklicherweise genau auf einer Treppenstufe und waren nicht auf eine Holzschwelle drauf gekracht. So waren innerhalb von zwei Tagen drei Personen ausgeschaltet. Zwei mit Brüchen und einer mit einer Platzwunde.

 

Echt wahr? Weiß Bernd Arnold das?

Ich habe das schon mal in einem Vortrag erzählt, bei dem er auch mit dabei war.

Ist ja auch echt eine starke Geschichte! Jetzt mal von der Vergangenheit in die Zukunft: Worauf freust du dich dieses Jahr ganz besonders?

Ich wohne mittlerweile in der Sächsischen Schweiz und bis zu den ersten Felsen sind es nur fünf Minuten, sie sind quasi mein erweiterter Garten. Und da freue ich mich darauf, dieses Gebiet, das ich glücklicherweise noch nicht so gut kenne, richtig gut kennenzulernen und dann im Sommer und im Frühling dort mit meiner Familie klettern zu gehen. Es gibt hier ganz viele schwere Touren, die ich mir erarbeiten und angehen möchte. Und ich freue mich darauf, wieder nach Fontainebleau zu fahren. Ich war zwar gerade erst da, muss aber schon wieder hin. Das ist ganz wichtig für mich, um neue Kraft zu tanken und auch um Ideen zu sammeln für meine alltägliche Arbeit.

Inspiration für neue Boulder, die du schraubst?

Genau. Zum Beispiel. Und zum Griffe bauen.

 

Vielen Dank für deine Antworten, Robert! Wir wünschen dir eine gute Zeit in Bleau und im Elbsandstein!

 

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