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Expedition Kashmir

Anstatt auf vielen schönen Gipfeln landeten der Schweizer Profibergsteiger Stephan Siegrist und sein Kollege Julian Zanker auf der letzten Expedition nach Kaschmir fast im Gefängnis. Sie wurden nicht verhaftet, hatten aber tatsächlich Ärger mit Polizei und Militär.

30 August 2016

Bergsteigen

Stephan und Julian am Gipfel des Corner Peak

Wirbel um Satellitentelefon

Letzte Woche meldeten verschiedene Medien, die beiden Schweizer Bergstieger Stephan Siegrist und Julian Zanker seien in Kashmir verhaftet worden. Ursprung der Aufregung war die indische Zeitung "Kashmir Life", die von der illegalen Benutzung eines Satellitentelefons berichtete sowie Polizeifotos der beiden Schweizer veröffentlichte. Siegrist und Zanker sitzen aber nicht in Haft, sondern sind vor wenigen Tagen zurückgekehrt. Sie wurden von Polizei und Militär befragt und vorübergehend auch auf einem Polizeiposten festgehalten, konnnten dann aber nach Delhi weiterreisen. Sigrist kennt die umstrittene Grenzregion, da er sie schon mehrmals bereist hat. Er weiss auch, dass es verboten ist, ein Satellitentelefon zu benutzen. Es stellte sich bald heraus, dass die Lage in der Region Kisthwar diesmal angespannter was als in den Jahren zuvor. Nicht lange vor der Expedition kam es zu Anschlägen in Srinagar, das Militär markierte Präsenz, wie auch Polizei und Geheimdienst schienen nervöser zu sein. Im Norden Indiens gehörte es auch in der Vergangenheit immer dazu eine Bewilligung beim IMF (Indian Mountaineering Foundation) einzuholen, sich von einem Liaison Officer begleiten zu lassen und auf der Route verschiedene Polizeistationen zu passieren. Aufgrund der politischen Unruhen ist die Region Kashmir stark überwacht. So kann man als Tourist auch von Städten, wo ein Handynetz besteht, keine internationalen Telefongespräche führen, Bis vor wenigen Jahren war Kashmir für Bergsteiger ganz gesperrt.

Normalerweise würden Julian Zanker und Stephan Siegrist wie überall sonst auf der Welt ein Satellitentelefon mitbringen. Aufgrund der aktuellen Lage war es für die beiden aber schnell klar, dass es besser war, darauf zu verzichten, weder als Backup für den Notfall noch als Quelle für zuverlässige Wetterberichte. In diesem Jahr war alles etwas anders, nicht nur die politische Lage, auch Stephans und Julians Expedition verlief harzig. Zuerst wurden die Bergsteiger vom Wetter zurückgehalten, der Monsun brachte viel länger als üblich Niederschläge und warme Temperaturen bis in hohe Lagen. Als sie sich am ersten niederschlagsfreien Tag zur Akklimatisation auf den Corner Peak (5700 Meter über Meer) aufmachten, verunfallte ganz in der Nähe ihr indischer Kollege Ranjit Jakkli. Beim Aufstieg zum Hochlager stürzte Ranjit und renkte sich den Ellbogen aus. Die Schweizer waren zur gleichen Zeit bereits in der Gipfelregion unterwegs und erfuhren erst beim Abstieg ins Basislager vom Unfall. Da sie mehrere Stunden von der nächsten Siedlung entfernt waren, verarzteten die beiden Bergsteiger ihren Kollegen notdürftig und schickten den Koch talabwärts, um Hilfe zu holen. Im nächsten Dorf wurde wieder ein Bote entsendet, der in der grösseren Ortschaft Gulabgarth einen Rettungshelikopter organisieren sollte.

Stephan hilft Kollege Ranjit Jakkli

Bis der Helikopter eintraf, verging ein weiterer Tag, die beiden hatten zusammen mit dem verletzten Inder bereits den Abstieg in Angriff genommen. Auf dem Landeplatz in Gulabgarth warteten allerdings nicht ein Arzt, sondern Vertreter von Militär und Polizei. In der Region wurden Signale von einem Satellitentelefon abgefangen, man verdächtigte die ausländischen Bergsteiger, ein Telefon benutzt zu haben. Die Gruppe konnte mit gutem Gewissen verneinen, die Ursache für den Alarm zu sein, und da auch die Gepäckdurchsuchung kein belastendes Gerät zu Tage gefördert hatte, wurden sie nach zwei Stunden laufen gelassen. Am nächsten Tag wurden Stephan Siegrist und seine Begleiter in Kishtwar festgehalten. Offenbar war unterdessen ein schon früher in der Gegend tätiger und - wie ihnen versichert wurde - äusserst erfolgreicher Geheimdienstler eingetroffen. Für den Agenten der indischen Variante der CIA waren die Ausländer offenbar ein wenig zu schnell weitergereist und hatten sich damit verdächtig gemacht. Im Verhör wurde schnell klar, dass der indische Nachrichtendienst keinen Spass verstand in Bezug auf illegale Kommunkationsmittel und der Agent hätte wohl zu gerne bei seinen Vorgesetzten gepunktet mit der Überführung der Übeltäter. Da das aufgefangene Satelliten-Signal aber nicht von den Bergsteigern gekommen war und weil ihnen nichts angehängt werden konnte, durfte die Gruppe nach erneutem Verhör die Polizeistation wieder verlassen. Zuvor wurden von Stephan und Julian noch die "Verbrecher-Fotos" gemacht, die später in den Medien auftauchten. Ob die Veröffentlichung der Falschmeldung bewusst oder aus Versehen passierte, ist nicht klar.

Für Stephan und Julian stand immer fest, dass sie den verletzten Ranjit begleiten würden, bis er sich in ärztlicher Obhut befand. Auch wenn das für die beiden bedeutete, dass sie ihre Expedition damit vorzeitig abbrechen und auf weitere mögliche Gipfelbesteigungen verzichten musste.

Stephan beim Abstieg vom Gipfel

Erst in Delhi, ein paar Tage später, erfuhren die zwei Schweizer von der plötzlichen Aufmerksamkeit der Presse und der Falschmeldung in "Kashmir Life". Auch wenn sich Stephan Siegrist seine aktuelle Expedition anders vorgestellt hatte und die gelungene Erstbesteigung des Corner Peak fast etwas nebensächlich wurde: höchst abenteuerlich war die Reise. "Beinahe ein wenig zu abenteuerlich", wie Stephan - inzwichen wieder schmunzelnd - erzählt.

Text: Hans Ambühl - Visual Impact

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